Fachwissen Powertage 2022

«Mission to Zero» – Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft

Der Klimawandel ist eines der grossen Probleme der Menschheit. Die geforderten Massnahmen stehen jedoch in Konkurrenz zu anderen politischen Zielen wie zum Beispiel Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit.

Seit dem 14. September 1817, also seit über 200 Jahren, betreiben die Chorherren des Hospizes am Grossen St. Bernhard eine Wetterstation. Das ist deutlich länger als die 88 Wetterstationen, die seit 1864 im Bundesauftrag das Wetter beobachten. Die Daten aus zwei Jahrhunderten zeigen eine Erhöhung der durchschnittlichen Jahrestemperatur von 1818 bis 2018 um 1,6 Grad Celsius – die Klimaerwärmung ist Realität. Dies belegen auch diverse andere Messreihen. 

«1,6 Grad Celsius ist ja nicht so viel», mag sich der eine oder die andere denken und auf wärmere Sommer und weniger strenge Winter hoffen. Doch die kleine Zahl täuscht: In der letzten Eiszeit lag die globale mittlere Temperatur auf der Erde lediglich um etwa 5 Grad Celsius tiefer als heute. Trotzdem waren weite Teile der Erde vergletschert. Ein weltweiter Temperaturanstieg um 1,5 oder 2 Grad Celsius – auf welchen die UNO-Klimakonferenz von 2015 in Paris die Klimaerwärmung begrenzen will – ist also alles andere als eine Kleinigkeit. 

Es besteht ein weitgehender wissenschaftlicher Konsens, dass die Klimaerwärmung menschengemacht ist. Hauptgrund ist der Anstieg der Kohlendioxid-(CO2-)Konzentration in der Atmosphäre: von 280 ppm (parts per million, Teilchen pro Million) zu Beginn der Industrialisierung (1850) auf mittlerweile 410 ppm (2020), also fast 50 Prozent mehr. Der Anstieg wird verursacht durch das massive Verbrennen der fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas.  

Die Klimaerwärmung verläuft ziemlich parallel zum Anstieg der CO2-Konzentration. Zwar begründet eine Korrelation noch keine Kausalität. Doch CO2 ist ein stark wirksames Treibhausgas, was den Temperaturanstieg plausibel erklärt. 

 
Move to Zero – Netto null CO2 

Unternehmen oder Organisationen, die sich den Klimaschutz auf die Fahne schreiben, unterstreichen dies oft mit Begriffen wie «Move to Zero» oder «Mission Zéro». Sie zeigen damit, dass es ihnen wichtig ist, auf eine CO2-freie Zukunft hinzuarbeiten. 

Ziel ist also, die Wirtschaft – dazu gehören auch die Haushalte – zu dekarbonisieren, das heisst, Energien zu nutzen, die keinen Kohlenstoff emittieren. Verschiedene Akteure – Gemeinden, Kanton, Unternehmen, Verbände – propagieren «Netto null CO2», oft versehen mit einer Jahreszahl. Unter «Netto null» ist eine rechnerische Nullemission zu verstehen, bei der auf der einen Seite Emissionen entstehen und gleichzeitig woanders Emissionen in gleichem Mass verhindert oder dauerhaft in zusätzlich geschaffenen Senken gespeichert werden (sog. negative Emissionen). Und die Jahreszahl gibt an, bis wann dieser Zustand erreicht werden soll. Häufig bleibt offen, ob bei der Zielsetzung die sogenannten grauen CO2-Emissionen eingeschlossen sind – also jene Emissionen, die im Ausland bei der Produktion von Gütern entstehen, die danach importiert werden. Dies wäre aber wichtig. So sind zwar die Treibhausgasemissionen auf Schweizer Territorium zwischen 1990 und 2020 um 19 Prozent gesunken. Doch gleichzeitig sind in der Schweiz die importbedingten Emissionen rund doppelt so hoch sind wie die inländischen Emissionen und haben sich seit 2000 nicht reduziert. 

Wenn Gemeinwesen eine Volksabstimmung über Netto null CO2 durchführen, erfährt dieses Anliegen oft Zustimmung. Wie viel solche Bekenntnisse jedoch wert sind, steht auf einem anderen Blatt. Zum einen ist die jeweils genannte Jahreszahl, zum Beispiel 2040 oder 2050, für viele noch sehr weit weg. Zum andern muss sich die Bürgerin oder der Bürger bei einer solchen Abstimmung nicht persönlich verpflichten. Sobald es jedoch konkreter wird – erinnert sei an die am 13. Juni 2021 in der Volksabstimmung gescheiterte Revision des eidgenössischen CO2-Gesetzes –, zählen auch andere Kriterien, zum Beispiel höhere Treibstoffpreise. 

Ein weiteres Beispiel, wie relativ für viele das Ziel des Klimaschutzes ist, sind die ab der zweiten Hälfte 2021 explodierten Erdöl- und Erdgaspreise. An sich wären solche Preissignale ein sehr starker Anreiz, von diesen fossilen Energieträgern wegzukommen. Doch wenn plötzlich die Gefahr droht, sich die Beheizung der Wohnung nicht mehr leisten zu können oder viel mehr für die Mobilität bezahlen zu müssen, zählt der Klimaschutz nicht mehr. Vielmehr werden Steuererleichterungen oder Subventionen für fossile Treib- und Brennstoffe gefordert. Dabei waren die weltweiten Subventionen für fossile Energien schon vor der jüngsten Preishausse mit 447 Mrd. USD 2,7-mal höher als jene für erneuerbare Energien (166 Mrd. USD; Zahlen von 2017; Quelle: IRENA Energy Subsidies 1/2020). 

Anpassung an höhere Temperaturen 

Gemäss der Internationalen Energieagentur basierte die weltweite Energieversorgung im Jahr 2019 zu 81 Prozent auf fossiler Energie. Das ist nicht viel weniger als 1973 (87%) und zeigt, welch gigantischer Kraftakt notwendig ist, um von der fossilen Energie wegzukommen. Dies ist kein Grund, resigniert die Hände in den Schoss zulegen, denn je weniger wir uns bemühen, den Klimawandel einzudämmen, desto gravierender wird er ausfallen. Doch falsche Hoffnungen zu hegen, ist fehl am Platz. Zudem ist es angezeigt, sich mit den schon heute spürbaren Folgen der Klimaerwärmung auseinanderzusetzen und Anpassungen an den Klimawandel vorzunehmen. 

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