Fachwissen Powertage 2022

Die Heizung macht Strom und regelt das Netz

Eine Sektorkopplung beschleunigt die Energiewende. Dank der cleveren Verbindung von Strom-, Gas- und Wärmenetzen kommt Dänemark 15 Jahre früher aus der Kohlekraft als andere Länder. Das ist auch für die Schweiz wegweisend.

Das Heizkraftwerk am Zürcher Flughafen ist eine riesige Fabrik. Es beheizt 20 000 Arbeitsplätze, Büros, Hangars, Terminals, Restaurants und Läden und liefert Strom für den Flughafen. Seine Ursprünge liegen in den 1960er-Jahren. Schwerölbrenner betrieben damals zwei Dampfturbinen zur Stromerzeugung, die Abwärme heizte die Häuser. Dann baute man Kessel und Systeme um, der Flughafen wuchs. Seit den 1990er-Jahren erzeugt eine mit Erdgas oder Heizöl betreibbare Gasturbine Strom, und ihre Abwärme treibt noch immer die alten Dampfturbinen an. Es ist ein modernes Kombi- oder GuD-Kraftwerk. Aber auch Blockheizkraftwerke (BHKW) funktionieren ähnlich. Mit Strom- und Wärmeproduktion liegt der Wirkungsgrad bei über 90 Prozent. 

Das Kraftwerk befindet sich am Knotenpunkt von Strom-, Gas- und Wärmenetzen. Dieses Verbinden von Strom- und Wärmenetzen, von Brauchwassererwärmung, Gas- und Wassernetzen nennt sich Sektorkopplung oder Netzkonvergenz. Es gibt davon Dutzende Varianten. Mit Sektorkopplung lassen sich die Nachteile unterschiedlicher Systeme gegenseitig aufheben und die Vorteile verstärken. So gibt es kaum eine effizientere Art der Nutzung fossiler Energien als solche Kraftwerke. Zudem können sie auf Verlangen des Netzbetreiber das Stromnetz stabilisieren und damit mehr Wind- und Solarenergie stabil im Netz halten. Auch deshalb sollen künftig viele solche Anlagen wie jene am Zürcher Flughafen über die ganze Schweiz verteilt gebaut werden. 

Auch das Gasnetz wird gebraucht

Um die Netze miteinander verbinden zu können, müssen sie ihre Vorteile so gut wie möglich ausspielen können. Hier sehen sich die Gasnetzbetreiber in einer schwierigen Situation mit ihrer milliardenteuren Infrastruktur. Sie gerät öffentlich unter Druck, wird aber auch dringend gebraucht, wenn Biogas aus organischen Abfällen, grüner Wasserstoff und synthetisches Methan in Zukunft eine grössere Rolle spielen sollen. Denn eine zerstörte Infrastruktur kommt nie wieder zurück. Viele Städte mussten das erfahren, nachdem sie in den 1950er-Jahren ihre Tramschienen herausgerissen hatten. 20 Jahre später standen alle Busse im Stau. Moderne Trams waren zwar viel schneller und viel grösser, aber die Tramschienen weg.

Beim Gasnetz droht derselbe Fehler. So haben verschiedene Schweizer Versorger angekündigt, die Gasnetze stilllegen zu wollen. Andere machen eine übergeordnete Energieplanung, unter Berücksichtigung aller Energieträger. Dabei gibt es beispielsweise beim Gas eine Zielnetzplanung, welche die Leitungen mit hohem Verdichtungspotenzial und grossem Verbrauch identifiziert. Ausserhalb dieser Gebiete haben andere Energieträger Priorität. 

Gas-Peaker für mehr Erneuerbare 

Bei einer solchen Netzkonvergenz-Strategie geht es nicht darum, möglichst viel Gas zu verheizen, sondern vielmehr darum, mit Gas all die vielen kleinen Lücken und Hopser in der Strom- und Wärmeversorgung auszugleichen. Heute produziert nur ein Bruchteil der verbrannten fossilen Energie auch Strom, so wie im Heizkraftwerk am Flughafen Zürich. Gleichzeitig entweichen grosse Mengen Industrieabwärme ungenutzt. BHKWs und flexible Wärmeverbunde, die alle verfügbaren Wärmequellen ins Konzept einbeziehen, sind deshalb entscheidend, um die Emissionen zu reduzieren. Dabei kommt auch immer wieder Gas zum Zug, wobei fossiles Erdgas nach und nach durch biogenes Gas aus Landwirtschaft und Kläranlagen ersetzt werden soll, aber auch von synthetischem Gas, das aus Strom via Elektrolyse gewonnen wird. Einerseits benötigen alle Wärmenetze Reservewärmeerzeuger für den Fall, dass die primäre Wärmequelle – meist Müllverbrennung, Holzschnitzel, Wärmepumpen oder Industrieabwärme – einmal nicht verfügbar ist. Anderseits kann durch den Einsatz von Spitzenerzeugern, sogenannten Peakern, an sehr kalten Tagen, die in der restlichen Zeit vorhandene Band-Wärme aus erneuerbaren Erzeugern oder Industrieabwärme viel besser genutzt werden. 

Ähnlich können Blockheizkraftwerke im Stromsystem funktionieren: für Spitzen im Winter und zur Stromnetzstabilisierung. Denn für jedes installierte Megawatt Wind oder Solartechnik braucht es im Netz etwa fünf Prozent regelfähige Kapazität. Innerhalb einer Wind- und Solarstrategie gebaute BHKWs erlauben deshalb sowohl einen schnelleren Ersatz von Öl- und Gasheizungen durch Fernheizsysteme als auch einen schnelleren Zubau der Erneuerbaren – und damit schneller mehr Wärmepumpen und Elektroautos, die zu 95 Prozent mit erneuerbarem Strom laufen. 

Energie ist politisch

Energie ist immer politisch, erst recht seit dem 24. Februar 2022, als Russland, der grösste Gaslieferant Europas, die Ukraine angegriffen hat. Ironischerweise wurde die europäische Gasinfrastruktur genau aus diesem Grund gebaut: um nach dem durch die Opec und die Saudis verursachten Ölschock Anfang der 1970er-Jahre unabhängig von unzuverlässigen Lieferantenländern zu werden. Denn das bisherige Öl-Abfallprodukt Erdgas kam aus den Niederlanden, Deutschland, Frankreich und Norwegen. Schon kurz darauf begann Deutschland die Sowjetunion ins Gaskonzept mit einzubeziehen. Doch Energiewaffen werden stumpf, sobald sie eingesetzt werden. Schon die Saudis provozierten eine Welle von Energiesparmassnahmen, ebenso wie Russland, nachdem es der Ukraine 2006 erstmals das Gas abgedreht hatte. Zudem wurde der Ausbau von Terminals für Flüssiggas (LNG) forciert, wo verflüssigtes Gas mit einem Sechshundertstel des Volumens per Schiff ankommt und ins Netz eingespeist wird. Mit den Flüssiggasterminals kann Europa das russische Gas zwar nicht sofort ersetzen, ist aber alles andere als machtlos. Schon seit Januar 2022 steigen die Mengen stark an. 

Zudem gibt es noch andere Gasquellen. Das Gasnetz könnte bis zu 10 Prozent seines Inhalts ohne technische Veränderungen an Wasserstoff aufnehmen, darüber hinaus unbegrenzt Biogas und synthetisches Methan aus Wasserstoff, der mittels Kohlendioxids aus Kehrichtverbrennungsanlagen oder Kläranlagen methanisiert wird. Allerdings redet die Politik zwar von Wasserstoffstrategien, doch sie schafft nicht einmal minimale rechtliche Voraussetzungen. Für die sogenannten «Power to Gas»-Anlagen, die überschüssigen Strom in Gas umwandeln könnten, müssen Betreiber – im Gegensatz zu Pumpspeicherwerken – Stromnetzgebühren zahlen. Dadurch lohnt sich der Betrieb nicht – eine bestehende Anlage in Solothurn steht still. Trotzdem ist man in der Gasbranche überzeugt, dass dem Gas in der Energiewende eine wichtige Rolle zukommt. Denn «Netto Null» bis 2050 ist nur schwer ohne Gas realisierbar. Schon bis 2030 sollen im Heizmarkt 30 Prozent erneuerbares Gas fliessen – das im Idealfall gleichzeitig Strom erzeugt. 

Dänemark ist weit voraus

Wie effizient Sektorkopplung ist, zeigt das Beispiel Dänemark. So setzt dieses Land seit den 1990er-Jahren konsequent auf die Kombination von Wind und Sonne mit Fernheizsystemen. Damals hatte Dänemark etwa gleich viel Kohlestrom wie Finnland, das mit ähnlicher Wirtschaft und Bevölkerungsstruktur auf Kernkraft setzte. Dänemark konnte seinen Treibhausgasausstoss viel schneller senken und kommt 15 Jahre früher aus der Kohle heraus als Finnland. Und so müssen die Netzkonvergenz und die Verbindung aller Energiesysteme in der Energiewende eine entscheidende Rolle spielen – so wie jenes Kraftwerk am Zürcher Flughafen, am Knotenpunkt von Strom-, Gas und Wärmenetzen.

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