Die Digitalisierung schreitet im Energiesektor zu zögerlich voran»
Swissgrid bildet mit ihrem Höchstspannungsnetz den Kern der Energiesystem-Transformation in der Schweiz. Konrad Zöschg, seit 2021 CIO von Swissgrid, somit für die Datenflüsse und Informatikinfrastruktur verantwortlich, über die Herausforderungen im Bereich der Digitalisierung.
Im Gespräch mit energie inside verrät der CIO des Jahres 2020, was ihn antreibt und wo es derzeit noch hakt bei der Digitalisierung der Energiesysteme.
Interview: Bruno Habegger
Was hat Sie als CIO des Jahres 2020 gereizt, zu Swissgrid zu wechseln?
Das gesamte Stromsystem befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel und die Digitalisierung ist ein zentraler Erfolgsfaktor. Dem Übertragungsnetz kommt eine Schlüsselrolle zu. Das hat mich sehr gereizt und motiviert, hier in diesem dynamischen Umfeld einen Beitrag leisten zu können.
Was haben Sie bei Ihrem Wechsel hinsichtlich Digitalisierung vorgefunden?
Die Schweiz ist auf diesem Gebiet zwar konkurrenzfähig. So konnte sie sich im World Digital Competitiveness Ranking 2023 wie im Vorjahr auf Rang 5 behaupten. Es gibt aber immer noch Bereiche, in denen die Schweiz hinterherhinkt. Im Energiesektor beispielsweise. Hier schreitet die Digitalisierung zwar immer weiter voran, aber immer noch zu zögerlich. Die Digitalisierung und der schnelle Datentransfer sind wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Energiewende.
Warum?
Die Stromversorgung wird zunehmend dezentral und damit auch komplexer. Digitale Technologien ermöglichen es, diese zunehmende Komplexität zu handhaben. Bei einer Zunahme von dezentral erzeugter erneuerbarer Energie werden aggregierte Informationen in Echtzeit wie bspw. Last- und Erzeugungsprognosen immer wichtiger. Hier gibt es noch grosses Verbesserungspotenzial. Ich denke dabei unter anderem an einen flächendeckenden Rollout von Smart Metern, an Lastgangmessungen im 15-Minuten-Takt oder einen zentralen Datahub.
Am 22. April 2024 wäre es aufgrund fehlenden oder unpräzisen Daten beinahe zu einem Blackout gekommen. Was muss getan werden, damit sich das nicht wiederholt?
Mit zunehmender PV-Einspeisung wird es für die rund 630 Verteilnetzbetreiber in ihren Versorgungsgebieten immer schwieriger, genaue und verlässliche Produktions- und Lastprognosen zu erstellen und Swissgrid in den Bilanzgruppen ausgeglichene Bilanzen zu übermitteln. Es braucht deshalb eine regelmässige Aktualisierung und somit höhere Qualität der Verbrauchs- und Produktionsdaten. Ausserdem sind, wie erwähnt, Echtzeitdaten wichtig, um Unausgeglichenheiten rasch zu erkennen. Mehr Flexibilität, beispielsweise mittels Batteriespeichern, würde ebenfalls helfen. Das ist eigentlich keine Herkulesaufgabe, aber es muss angegangen und mit hoher Priorität vorangetrieben werden.
Mit Blick auf die Digitalisierung: Was sind für Sie und Swissgrid die drei grössten Herausforderungen?
Für mich sind das die folgenden Punkte: Erstens brauchen wir eine bessere Datenverfügbarkeit und -qualität. Zweitens müssen sich Swissgrid und die ganze Branche in Sachen Innovations- und Digitalisierungskultur steigern. Und drittens wird es immer schwieriger, die richtigen Fachkräfte zu finden.
Über den ersten Punkt haben wir gesprochen. Was aber bedeutet «Innovation» im Übertragungsnetz?
Die Energiewende und die Netzintegration der Erneuerbaren stellen Swissgrid vor neue Herausforderungen. Der Netzbetrieb wird komplexer. Swissgrid begegnet dem mit innovativen Ansätzen, um den Netzbetrieb zu optimieren.
Wie konkret?
Swissgrid hat in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und der Branche entsprechende Initiativen und Pilotprojekte lanciert. So läuft beispielsweise ein Pilotprojekt mit Branchenakteuren im Bereich der Nutzung von Flexibilität für Systemdienstleistungen und Engpassmanagement. Ein weiteres Projekt befasst sich mit der optimierten Prognose von Lastflüssen im Stromnetz.
Löst die Digitalisierung bzw. die KI den dritten Punkt nicht, den Fachkräftemangel?
Nein. Die Digitalisierung umfasst Aktivitäten und Aufgaben, die hochqualifizierte Fachkräfte erfordern. Bei der Automatisierung braucht es einerseits Kompetenzen im Bereich KI und Data Science. Andererseits erfordert die Umsetzung, die durch IT-Lösungen mit neuen Technologien unterstützt wird, ICT-Kompetenzen. Es braucht somit ausgewiesene Expertinnen und Experten in verschiedensten Bereichen.
Aber die Digitalisierung schafft neue Geschäftsmöglichkeiten für die Energiebranche?
Ja. Die Digitalisierung bietet zahlreiche Möglichkeiten für neue Aktivitäten und Geschäftsmodelle. Ich denke beispielsweise an Start-ups im Bereich KI- und Data-Science, Entwickler und Anbieter neuer Technologien und Datenplattformen, aber auch Eigentümerinnen und Eigentümer von Elektrofahrzeugen und Aggregatoren, die z.B. für das Demand Side Management und den Betrieb von Stromnetzen eingesetzt werden.
Cybersecurity rückt mit dem Netz der Zukunft in den Mittelpunkt. Wo stehen wir?
Sicherheit hat bei Swissgrid höchste Priorität, dazu zählt auch die Cybersicherheit. Aber ich möchte da gar nicht viel verraten. Mein Kollege Roger Wirth wird dazu im Rahmen der Powertage einen spannenden Vortrag halten.
Konrad Zöschg wird am Fachforum der Powertage vom 4. Juni 2024 (Patronat VSE) auftreten.
Über den Gesprächspartner
Konrad Zöschg ist seit 2021 CIO von Swissgrid und verantwortet somit den Informatik- und Digitalisierungsbereich der Übertragungsnetzbetreiberin.