Die globale Wissensplattform CIGRE gewinnt an Bedeutung. Rudolf Meier präsidiert die Organisation in der Schweiz. Er stellt sie vor und zeigt, wo die Schweiz Aufholbedarf hat.
Im Gespräch mit energie inside über die Bedeutung von CIGRE und über die Technologielücken der Schweiz freut sich Rudolf Meier über das gestiegene Interesse am internationalen Austausch.
Interview: Bruno Habegger
Rudolf Meier - wie gut ist CIGRE in der Schweiz bekannt?
CIGRE ist keine Publikumsmarke, aber in der Branche gut bekannt. Die grösseren Schweizer Netzbetreiber mit eigenem Hochspannungsnetz sowie die Swissgrid nutzen die Möglichkeiten der CIGRE regelmässig und engagieren sich als Mitglieder. Auch die Hersteller sind sehr aktiv. Noch etwas weniger bekannt ist CIGRE bei den kleineren Netzbetreibern. Dies hängt wohl damit zusammen, dass CIGRE historisch geprägt war von Themen im Übertragungsnetz. Das ist heute nicht mehr so: CIGRE deckt vom Übertragungsnetz bis zur Mittelspannung alle Netzebenen ab, ausserdem den sogenannten «Grid Edge», d.h. die an die Netze angeschlossenen Produktions-, Speicher- und Verbrauchsanlagen und sogar Sektorkopplung. Eine wichtige Aufgabe ist es, CIGRE auch an den Hochschulen und bei den Studierenden besser bekannt zu machen.
Wie stark engagieren sich Schweizer Mitglieder?
Für die vom 25. bis 30. August in Paris stattfindende CIGRE Session wurden 36 Papers zu Innovationen aus der Schweiz eingereicht. Das entspricht rund 5% der Gesamtanzahl weltweit eingereichter Papers und stellt damit einen sehr guten Wert dar. Der Aktivitätsgrad zu Innovationen in der CIGRE aus der Schweiz hat sich in den vergangenen sechs Jahren verdreifacht.
Welche Tipps können Sie zur Nutzung der Plattform geben?
eCIGRE (e-cigre.org), die Webplattform der CIGRE, bietet eine Fülle wertvoller technischer Informationen, zusammengetragenes Wissen von den besten Experten weltweit. Es finden sich dort unzählige Ergebnisberichte – die sogenannten «Technical Brochüres» – aus den zahlreichen Working Groups, Papers und Präsentationen aus den CIGRE-Sessions und -Symposien, die Zeitschriften «ELECTRA» und «Science&Engineering». Alle diese Inhalte sind für Mitglieder unbeschränkt und kostenlos zugänglich. Mitarbeitende wie Unternehmen können stark davon profitieren, bereits erarbeitetes Wissen und vorhandene Lösungsansätze effizient für ihren Technologiefortschritt zu nutzen.
Was bringt der Beitritt konkret?
CIGRE hat zwei wesentliche Säulen: Aus der technischen Arbeit in den Working Groups entstehen «Technical Brochures», die oftmals als Defacto-Standard bei der Planung, dem Bau und dem Betrieb von Stromnetzen herangezogen werden können. Die zweite wichtige Säule ist das aus der technischen Zusammenarbeit entstehende internationale Netzwerk. Fachexperten aus zahlreichen Ländern kommen zusammen und arbeiten gemeinsam an einem Thema. Dieses Netzwerk ist sehr wertvoll und ermöglicht informelle Kontakte, die sich im Geschäftsalltag als sehr nützlich erweisen. Speziell hervorzuheben ist der aktive Einbezug junger Ingenieure in die Arbeitsgruppen. Dies fördert den Wissensaufbau für den Nachwuchs. Gerade für ein kleines Land wie die Schweiz ist der Blick «über den eigenen Tellerrand hinaus» sehr wertvoll.
Dazu gehört auch der Blick in die Zukunft.
Ja, CIGRE denkt stets auch länderübergreifend und ist zukunftsorientiert. Die Plattform spielt eine wichtige Rolle als Vorbereiter für eine spätere Normierung bzw. Standardisierung. So gibt es Arbeitsgruppen, die sich z.B. der Kompatibilität der Gleichstromnetze widmen.
Ist das ein kommendes Thema für die Schweiz?
Auf Grund der kleineren Distanzen und der engen Vermaschung der Netze in der Schweiz gibt es zurzeit bei uns keinen Bedarf an Hochspannungs-Gleichstromnetzen. Zu dieser zukünftig wichtiger werdenden Technologie fehlt daher in der Schweiz der Praxisbezug. Diese Lücke lässt sich mit einem Beitritt zu CIGRE schliessen. Das wäre wichtig, denn eine grosse Stärke der Schweiz ist, dass wir neben hervorragenden technischen Hochschulen über eine sehr aktive Industrie verfügen. Die Schweiz soll nicht «nur» Forschungs- und Entwicklungsstandort sein, sondern auch auf der Fertigungsseite aktiv sein und bleiben. Dies scheint mir sehr wichtig, um auch langfristig die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
Rudof Meier wird am Fachforum vom 5. Juni 2024 (Patronat Electrosuisse) auftreten.
Über den Gesprächspartner
Rudolf Meier ist Präsident CIGRE CH, Geschäftsführer EnerTrans und Geschäftsbereichsleiter EVT, Bouygues Energies & Services. Er tritt am Mittwoch, 5. Juni 2024 um 9 Uhr in Halle 7 auf und stellt die Wissensplattform CIGRE.org ausführlich vor.