Briefwechsel Powertage 2022

Ausgabe 2: Kann es wirklich sein, dass wir als fortschrittliche Schweiz die Ziele von Paris nicht einhalten können?

Lisa Hämmerli von KlimaGlarus.ch schreibt in ihrem ersten Brief an Walter Steinmann über den nötigen Mut im Glarnerland zu demonstrieren und den gestrigen Entscheid des Schweiz

Lieber Walter

Ich staunte nicht schlecht, als du wirklich zusagtest, ins Glarnerland zu Besuch zu kommen. Umso mehr hat es mich gefreut, dich kennenlernen zu dürfen.  

Dass wir uns nicht als reine Protestgruppe entwickelt haben, lässt sich vermutlich durch zwei Dinge erklären. Einerseits ist das Glarnerland überschaubar –, «det wo jedä jedä kännt» – und so verhält es sich auch mit Demonstrationen. Durch die Kleinräumigkeit und die unkomplizierte Art der Glarner:innen ist man schnell im Gespräch. Andererseits besteht unsere Protestgruppe nicht bloss aus Jugendlichen, sondern auch aus Menschen älterer Semester. Mit meinen 28 Jahren mache ich oft den Spagat und vermittle zwischen den Generationen. Als ich kürzlich meine ersten grauen Haare entdeckt habe, war mein erster Gedanke, dass meine Zeit bei der Klimajugend vorbei ist. Wir sind endlich eine Klimabewegung geworden. In unserer heterogenen Gruppe ist das Ziel klar: Wir wollen die Klimakrise endlich angehen und mehr tun, als «bloss» zu demonstrieren – was übrigens eine ziemlich grosse Portion Mut im Glarnerland braucht und oft nicht goutiert wird, obwohl es sich um die Organisation eines Anlasses bzw. einen Auftritt handelt, wie das viele Glarner Vereine auch tun. 

Die Abstimmung zum CO2-Gesetz in drei Kapiteln 

Die Abstimmung über das CO2-Gesetz hat mich in den letzten Monaten intensiv beschäftigt. Gerne möchte ich dir deshalb von meiner Sicht darüber berichten.

Die kollektive Verantwortungslosigkeit Im Hintergrund haben wir ein breit abgestütztes Unterstützer:innen-Komitee zusammengestellt und die Kampagne für das Glarnerland geführt, weil sich niemand sonst – abgesehen vom WWF und VCS – dafür einsetzen wollte. Uns ist es zwar gelungen, eine breite Allianz von den Grünen bis zur FDP und zum Bauernverband für das CO2-Gesetz zu gewinnen, doch genau durch diese breite Abstützung fühlte sich niemand dafür verantwortlich, ernsthaft für diese Vorlage zu kämpfen. Die Arbeit und die Finanzierung blieben an uns hängen. Lieber Walter, es scheint so, dass die politischen Parteien Klimaschutz zwar «nice» finden, aber wirklich dafür einstehen mögen die wenigsten. Im Kanton Glarus haben 60 Prozent der Menschen, die an der Abstimmung teilgenommen haben, das CO2-Gesetz abgelehnt. Diese Heftigkeit der Ablehnung macht mir grosse Sorgen.

Die Spaltung der Klimabewegung beim CO2-Gesetz
Klimastreik Schweiz hat drei Forderungen im Konsens verabschiedet. 

  1. Die Ausrufung des Klimanotstands
  2. Netto Null bis 2030
  3.  Klimagerechtigkeit

Bei diesen Forderungen gibt es keinen Spielraum für Kompromisse. Mit dem CO2-Gesetz hätten die in der Schweiz verursachten Emissionen gerade mal um 37.5 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden können. Die Verpflichtung des Pariser Klimaabkommens, die Emissionen um 50 Prozent bis 2030 zu reduzieren, wären nur mit einem Ablasshandel zu erreichen gewesen. Dass der Klimastreik Schweiz nicht für dieses Gesetz brannte, konnte ich verstehen. Trotzdem war eine breite Allianz dafür und im Glarnerland war die Kampagne nur dank dieser Bewegung möglich, auch wenn diese hauptsächlich im Hintergrund dafür arbeitete. Der Klimastreik ist nach wie vor eine junge Bewegung – die Entscheidungsprozesse nicht nur einfach. Zwar werden Entscheidungen nicht mehr im Konsens gefällt, doch braucht es nach wie vor eine Mehrheit von zwei Dritteln bei Parolen. Wer mobilisiert, gewinnt.  

Diskurse mit Klimaskeptikern
Bei der Online-Kampagne aber auch auf der Strasse war ich wieder erstaunlich häufig mit Klimaskeptikern in Kontakt. Gemäss einer repräsentativen Umfrage, die ich im April 2019 im Rahmen meiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der ETH durchgeführt habe, lehnen nur gerade sechs Prozent der Schweizer Bevölkerung die Fakten zum Klimawandel ab. Sie glauben nicht, dass der Klimawandel stattfindet oder dass er vom Menschen verursacht ist. In der Zwischenzeit sind sich alle Schweizer Parteien einig: Der Klimawandel ist real und die Treibhausgasemissionen müssen gesenkt werden. In den sozialen Medien scheinen diese sechs Prozent aktiver zu sein als die restlichen 94, was die Kommentarspalte der geschalteten Anzeigen betrifft. Lieber Walter, ich bin gespalten: Wie soll ich nun das Abstimmungsergebnis interpretieren? Es herrscht Konsens, dass die Klimakrise bewältigt werden muss und die Treibhausgase bis 2050 auf netto Null reduziert werden müssen. Und trotzdem scheint nun die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung nicht bereit, konkrete Massnahmen zu ergreifen.   

Wie weiter?
Deine Verweise über die fortschrittliche Klimapolitik im Ausland machen Hoffnung. Trotzdem konsterniert der Entscheid des Schweizer Stimmvolks. Die Schweiz hat die Klimaziele bis 2020 verfehlt. Die Zeit ist knapp, dass die Ziele bis 2030 eingehalten werden können. Kann es wirklich sein, dass wir als fortschrittliche Schweiz die Ziele von Paris nicht einhalten können? Lieber Walter, wie soll ich nach diesem Abstimmungssonntag meinen Optimismus nicht verlieren? 

Liebe Grüsse 

Lisa 

Über die Schreibenden:

  • Dr. Walter Steinmann, *1951, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Energie (BFE, 2001-2016), ist Leiter des Advisory Board der Powertage und unabhängiger Berater verschiedener Projekte. Er engagiert sich für Start-ups und hilft mit Innovationen voranzubringen und die Transition im Energiesektor effizient zu gestalten. www.steinmannconsulting.ch
  • Lisa Hämmerli, *1993, ist im Glarnerland aufgewachsen und hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert. Anschliessend arbeitete sie an der ETH als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Wahrnehmungsforschung zu negativen Emissionstechnologien. Heute arbeitet sie in einem Ingenieurbüro, welches auf Abbau- und Deponieprojekte spezialisiert ist. In ihrer Freizeit engagiert sie sich bei der Klimabewegung in Glarus. Als Co-Präsidentin von KlimaGlarus.ch setzt sie sich für mehr Klimaschutz ein. www.klimaglarus.ch

Das Powertage Team bedankt sich herzlich für das Engagement der beiden.

Illustration: Sarah Weishaupt, Basel, instagram.com/sarahweishaupt_illustration 

Zugehörige Themengebiete (1)